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Radioaktiver Staub für Schweizer Atomstrom


Atomstrom ist nicht so sauber, wie es die Atomlobby gerne erzählt. Der
französische Atomkonzern AREVA baut in Niger Uran ab und schützt weder
die Angestellten noch die Bevölkerung vor radioaktiver Verseuchung. Auf Nomination der SES, bekam AREVA den Negativpreis «Public Eye Award»; Der Präsident der lokalen NGO Aghirin’man, Almoustapha Alhacen, kam nach Davos, um vom Leben in der Minenstadt zu berichten.

Mit den «Public Eye Awards» setzen die Erklärung von Bern (EvB) und Pro Natura
vor Ort einen kritischen Kontrapunkt zum jährlich stattfindenden WEF in Davos.
Die übelsten Unternehmen des Jahres
erhalten Schmähpreise, die vorbildlichste
Firma wird mit dem «Public Eye Positive Award» geehrt.

Der weltmächtige französische Atomkonzern AREVA wurde von der SES nominiert und hat abgeräumt. CEO Anne Lauvergeon hätte gleich zwei Auszeichnungen mit nach Hause nehmen können! – den Global Award und den Publikumspreis. Die zwei Pokale blieben aber auf der Bühne stehen. Almoustapha Alhacen, ein Gast aus Niger, der nach Davos gereist ist, um eine Laudatio auf die AREVA
zu halten, nahm die Pokale schliesslich mit: «Ich werde
sie den AREVA-Chefs in Niger persönlich übergeben».

 

Almoustapha Alhacen will mehr Transparenz

Almoustapha Alhacen ist ein Touareg und arbeitet seit 30 Jahren für AREVA. Vor 10 Jahren wurde er krank: Die Diagnose lautete Silikose, eine Staublunge, wie sie bei Minenarbeitern häufig vorkommt. Alhacen ist seither nicht mehr Maschinenprüfer in der «Yellow-Cake»-Fabrik, sondern Radioaktivitätsmesser für die Minengesellschaften. Ein wenig später, um das Jahr 2000, starben vermehrt ältere Arbeitskollegen. Frauen erlitten schwierige Schwangerschaften und Tiere unbekannte
Krankheiten. «Das hat uns dazu bewegt, uns zu fragen, ob diese neuen Probleme mit der Radioaktivität
zusammenhängen», schildert Alhacen. Er gründete die NGO Aghirin’man, um bessere Arbeitsbedingungen und mehr Transparenz fordern zu können.

 

AREVA baut in Niger Uran ab

1968 stampfte AREVA die Stadt Arlit in der Republik Niger aus dem Sand. Arlit steht in der Wüste, zwei Tage Busfahrt entfernt von der Hauptstadt Niamey. Unter dem Slogan «Arlit – deuxième Paris», warb AREVA
damals Leute an. Versprochen wurde
vor allem Arbeit, Strom, Strassen und eine blühende Wirtschaft für ganz Niger.
AREVA ist seither Hauptaktionärin der zwei Minengesellschaften, die sich je sieben Kilometer
entfernt von Arlit befinden. In Niger wird Uran abgebaut und aufbereitet, transportiert
und anschliessend in der ganzen Welt verkauft. Das Land besitzt eine der wichtigsten Uranreserven der Welt. Vom Weltmarkt profitiert die Republik Niger jedoch nicht. Es ist immer noch eines der ärmsten Länder. In Arlit selber herrscht Arbeitslosigkeit.
1600 Leute sind bei AREVA angestellt. 80’000 wohnen in der Minenstadt,
und gerechnet auf 14 Millionen Einwohner
ist dies ein verschwindend kleiner Anteil an der nigerischen Bevölkerung. Die Betonstrassen haben es nicht bis in die Wüstenstadt
geschafft. Flora und Fauna sind in der Umgebung von Arlit verschwunden.
Alhacen bringt es auf den Punkt: «Der Uranabbau bringt dem Land nichts.»

 

Niemand wusste etwas
von Radioaktivität

Bis 1986 kannte kein AREVA-Arbeiter den Begriff Radioaktivität.
Die meisten schliefen und assen in den Minen. Es gab keine Arbeitskleidung; sie gingen nach der Arbeit mit den radioaktiv verstaubten
Kleidern nach Hause zu den Kindern. Erst seit Tschernobyl werden die Angestellten sporadisch «sensibilisiert
». Im Prinzip müsste heute jeder eine Schutzmaske tragen und ein Dosimeter
bei sich haben. Dies gilt aber nur für diejenigen, die vertraglich fest angestellt
sind. Die Stundenlöhner werden weder informiert noch bekommen sie Arbeitskleidung oder Schutzmaterial.
In den konzerneigenen Spitälern beziehen
die Arbeiter gratis medizinische Behandlungen. «Was klassische Krankheiten
anbelangt, machen sie gute Arbeit
», meint Alhacen. Die Ärzte hüten sich jedoch, eine der «Berufskrankheiten
», zum Beispiel Lungenkrebs, zu diagnostizieren. – Im Zweifelsfall haben
die Arbeiter AIDS…

 

Die strahlenden Abraumhalden sind nicht abgesperrt.

Durch den Staub und Wind gelangt Radioaktivität in dieStadt
und die umliegende Natur. An diversen
öffentlichen Wasserstellen überschreitet
das Trinkwasser – laut der unabhängigen
französischen Organisation
CRIIRAD – die international empfohlene
Radioaktivitätsgrenzwerte um ein Vielfaches.

 

Arlit soll es dank
Uranabbau besser gehen

Alhacen ist jetzt wieder in Arlit. Mitnehmen
konnte er vor allem eine Menge
an Kontakten, die er während seiner Europareise geknüpft hat. Die Kontakte werden ihm helfen, sein mittelfristiges Ziel zu erreichen: Sich vom AREVA-
Lohn lösen, damit er sich ganz der NGO Aghirin’man widmen kann. Dafür treffen sich im Mai Leute aus Frankreich,
Deutschland, Holland und der Westschweiz. Ein Netzwerk «Les amis d’Aghirin’man» soll gegründet werden und über schon bestehende Organisationen
Mittel sammeln.

«Wir wollen, dass AREVA in die lokale Infrastruktur investiert, damit auch wir vom Uran profitieren», so Alhacen vor seiner Abreise. Er will die Leute aufklären
und Fonds fordern, die kranke ehemalige Minenarbeiter sowie Frauen unterstützen, die deswegen in Schwierigkeiten
sind. «Es gibt Dinge, die einfach sind zu verbessern, wie alten kontaminierten Schrott nicht liegen lassen», betont Alhacen. «Ich verstehe nicht, wieso AREVA dagegen so lange nichts unternommen hat».

 

Und was hat das
mit der Schweiz zu tun?

Aus Uran werden die Brennelemente für Atomkraftwerke hergestellt. In der Schweiz gibt es weder Uranminen noch Uranaufbereitungsanlagen. Wir sind deshalb für die Produktion von Atomstrom
vom Ausland abhängig. Die fünf Schweizer AKW haben mit AREVA Lieferverträge
für Uranbrennstäbe abgeschlossen.
Das in unseren AKW verwendete
Uran ist zwar – nach Angaben der Betreiber – aus Russland. Doch AREVA bleibt AREVA und die Uranbrennstäbe kommen letztlich aus der radioaktiv-verseuchten AREVA-Küche.

Von Sabine von Stockar, Projektleiterin Atomenergie, Schweizerische Energiestiftung in "Energie & Umwelt" 1/2008, S. 20-21

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