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Kernkraftwerke als Lösung des Klimawandels? (Teil 2)

Fortsetzung des Artikels von Amory B. Lovins, Imran Sheikh und Alex Markevich mit dem Titel: Vergesst doch die Atomkraft!

Fragwürdige Zuverlässigkeit

Alle Kraftwerke bzw. Generatoren können eine Panne haben. Die Unterschiede liegen bei
den Gründen, der Häufigkeit, beim Umfang, bei der Dauer des Ausfalls und bei der
Wahrscheinlichkeit einer Panne. Auch die zuverlässigsten und grössten Kraftwerke
produzieren die elektrische Energie nicht ununterbrochen: Wenn sie ausfallen, dann fehlt ein
Leistungs-Brocken im Gigawatt-Bereich. Und das kann dann erst noch ziemlich lange
dauern. Von allen fertig gestellten 132 Atomkraftwerken in den USA (das sind 52% der
ursprünglich 253 bestellten Kraftwerke) waren 21% ständig und unvorhergesehen wegen Zuverlässigkeits-
und Kosten-Problemen nicht am Netz, während weitere 27% zumindest
einmal für ein Jahr oder länger ausfielen. Auch zuverlässig betriebene Atomkraftwerke
müssen durchschnittlich für 39 Tage alle 17 Monate für Unterhalts- und Revisionsarbeiten
abgeschaltet werden. Um mit diesen Ausfällen von Atomkraftwerken und grossen
konventionell-thermischen Kraftwerken, die während etwa 8% der Zeit nicht am Netz sind,
umgehen zu können, müssen die Elektrizitätsversorgungsunternehmen (EVU) etwa 15%
Produktions-Überkapazität betreiben. Einige dieser Reserve-Kraftwerke arbeiten sogar
ständig im Leerlauf, um im Bedarfsfall sofort bereit zu sein! Gebiete, die sehr stark vom
Atomstrom abhängig sind, gehen besonders grosse Risiken ein, denn eine Dürre, ein
ernsthaftes Sicherheitsproblem, oder ein terroristischer Zwischenfall können den
gleichzeitigen Ausfall gleich mehrere Atomkraftwerke gleichzeitig verursachen.

Atomkraftwerke haben noch einen weiteren Nachteil: Aus Sicherheitsgründen müssen sie im Falle einer Panne sofort abgeschaltet werden können; aus kernphysikalischen Gründen können sie nachher nicht sofort wieder eingeschaltet werden. Während des Stromausfalls im Nordosten der USA im August 2003 mussten neun tadellos funktionierende Atomkraftwerke abgeschaltet werden. Zwölf Tage später, während denen sie langsam wieder hochgefahren wurden, hatte ihr mittlerer Kapazitätsverlust die 50% -Grenze überschritten. Während den ersten drei Tagen, als sie am nötigsten gewesen wären, lag ihre mittlere Energieabgabe 3% tiefer als unter Normalbetrieb.

Die grossen Übertragungsleitungen, die wegen konzentrierten Atomkraftwerken nötig sind,
sind verletzlich für Gewitter, Eisstürme, Gewehrgeschosse und andere Störungen. Je
grösser unsere Kraftwerke und Leitungen werden, umso häufiger und verbreiteter werden
regionale Stromausfälle. Weil 98 bis 99% der Ausfälle von den Übertragungsleitungen
ausgehen, wird die Zuverlässigkeit grösser, wenn man das Verteilnetz weglässt und
stattdessen zu effizient genutzten, diversifizierten und gut verteilten Ressourcen übergeht,
die sich in der Nähe der Stromkonsumenten befinden. Zudem ist es viel unwahrscheinlicher,
dass viele kleine Produktionseinheiten gleichzeitig eine Panne hat. Ihre Unterschiedlichkeit
und geographische Verteilung machen sie insgesamt extrem zuverlässig, auch wenn die
einzelne Produktionseinheit nicht einmal sonderlich zuverlässig ist.

Die Sonne scheint nicht ständig auf ein bestimmtes Solarpanel; ein bestimmter Windgenerator steht nicht immer in einer steifen Brise. Und doch sind sowohl die Windenergie, deren globales Potenzial 35 mal so gross ist wie der Weltbedarf an elektrischer Energie, als auch die Sonnenenergie, von der innert etwa 70 Minuten soviel auf die Erde fällt, wie die ganze Menschheit jedes Jahr braucht, bei richtiger Stabilisierung imstande, zuverlässig Strom zu liefern, ohne dass die Reserveleistung oder Speicherung hohe Kosten verursachen würden. Diese variablen erneuerbaren Energiequellen werden gemeinsam zuverlässig, wenn sie im Typ und in der räumlichen Anordnung diversifiziert werden und wenn sie mit drei Typen von Ressourcen integriert werden: mit kontinuierlichen Erneuerbaren (geothermischen Kraftwerken, kleinen Wasserkraftwerken, Biomasse- Kraftwerken, usw.), bestehenden konventionell-thermischen Kraftwerken und der richtigen Reaktion auf die Kundennachfrage. Zu dieser Integration gehören die Wettervorhersage, um die zu erwartende Leistung der verschiedenen erneuerbaren Quellen zu prognostizieren, und Hilfsmittel, um die Nachfragemuster und die Produktion der Wasserkraftwerke zu prognostizieren.

Um die Elektrizitätsproduktion trotz grosser Anteile an Wind- und Sonnenenergie im Kraftwerksportfolio zuverlässig aufrecht erhalten zu können, braucht es nicht in erster Linie Reserve- oder Speicherungskapazitäten, sondern Hilfsmittel, die für die Steuerung der Leistung grosser konventionell-thermischer Kraftwerke ohnehin schon vorhanden sind. Das Gerücht, erneuerbare Energiequellen seien unzuverlässig, wurde schon längst sowohl durch die Theorie als auch durch die praktische Erfahrung Lügen gestraft.

Grosse Subventionen, um von grossen finanziellen Risiken
abzulenken

Beim jüngsten Atomkraftwerk-Projekt in den USA rechnet man mit Kosten von 12 bis 24
Milliarden Dollar (bei einer Leistung von 2,2 bis 3,0 Gigawatt). Dieser Betrag liegt um ein
Mehrfaches über den Schätzungen der Industrie und ist ausserhalb der Darstellung der
Abbildung 1. Die Besitzerin, eine grosse Holding-Gesellschaft, die in 27 US-Bundesstaaten
aktiv ist, hat jährliche Einnahmen von nur 15 Milliarden Dollar. Solch hohe und extrem
schwer abschätzbare Kosten machen nun die Finanzierung von Atomkraftwerken, die dem
freien Markt ausgesetzt sind extrem teuer, was in jener Hälfte der USA der Fall ist, wo das
Elektrizitätsversorgungssystem umgebaut worden ist. In der anderen Hälfte der USA ist das
Projekt extrem anfällig auf politisch herausfordernde, plötzliche Änderungen der Zinssätze:
Eine neue Kilowattstunde Atomstrom kostet z.B. 16 Cents. Wenn dieser Betrag über
Jahrzehnte hinweg „nivelliert“ werden soll, muss die Betreiberfirma im ersten Betriebsjahr
mindestens 27 Cent pro Kilowattstunde haben, um die hohen Investitionskosten tragen zu
können.

Nachdem sie von den Investoren im Stich gelassen werden, wenden sich die Förderer der
Atomenergie einmal mehr an die Steuerzahler, die schon den Grossteil des nuklearen
Unfallrisikos tragen und die beim Erteilen von Betriebsbewilligungen herzlich wenig zu sagen
haben. In den USA versichern die Steuerzahler die Betreiber der Atomkraftwerke auch
gegen legale oder regulatorische Verzögerungen und haben schon jahrzehntelang
bestehende Atomkraftwerke mit 1 bis 5 Cents pro Kilowattstunde subventioniert. Im Jahre 2005 erreichte die politisch mächtige Atomlobby eine Erhöhung dieser Subventionen auf 5
bis 9 Cent pro Kilowattstunde für neue Atomkraftwerke oder 60 bis 90% der gesamten
projektierten Anlagekosten. Sie hoffte damit neue Anlagen finanziell attraktiver machen zu
können. Wallstreet reagierte aber nicht mit Investitionen. Im Jahr 2007 setzte die
Atomindustrie erleichterte gesetzliche Vorschriften durch, die ihre 100% Darlehens-Garantie
(für eine 80%ige Schulden-Finanzierung) noch wertvoller machten – das Ganze macht,
gestützt auf die Daten eines Projekts, für eine einzige Atomanlage etwa 13 Milliarden Dollar
aus. Aber die gestiegenen Kosten hatten mittlerweile die 4 Milliarden Dollar-Darlehens-
Garantie aus dem Jahre 2005 für einen einzelnen Reaktor schon zu klein werden lassen.
Darum erhöhte der Kongress die Garantie der Steuerzahler auf 18,5 Milliarden Dollar. Im
Jahre 2008 wird der Kongress um eine weitere Darlehens-Garantie von über 30 Milliarden
Dollar angegangen werden. In der Zwischenzeit hat das unparteiische Budget-Büro des
Kongresses entschieden, dass Verluste wahrscheinlich seien.

Die Wallstreet bezweifelt nach wie vor, dass Atomenergie wirklich so konkurrenzfähig ist, wie
behauptet wird. Soeben hat Warren Buffet ein Atomprojekt aufgegeben, weil es „ökonomisch
keinen Sinn macht.“ Und mit ihm wollen sich auch andere Kapitalgeber aus dem
Atomgeschäft zurückziehen. Das Atomenergie-Institut versucht darum, die allzu rosigen
Erwartungen, die es zu wecken hoffte, etwas zu dämpfen. Es sagt jetzt, die Bestellungen für
neue Atomkraftwerke in den USA kämen nicht in Form einer Flutwelle, sondern als zwei
kleine Wellenberge: Bis 2015 oder 2016 würden fünf bis acht neue Atomkraftwerke ans Netz
gehen. Falls deren Bau unter Einhaltung von Budget und Zeitplan abgelaufen sei, würde eine
zweite Staffel kommen. Sogar dieses Szenario wird von manchen erfahrenen Fachleuten
aus der Energieindustrie im privaten Kreis angezweifelt. Auf dem heutigen Kapitalmarkt
können die Behörden nur etwa so viele neue Atomkraftwerke bauen, wie sie dem
Steuerzahler Geld für deren Finanzierung abknöpfen können.

Die Revolution der „Kleinstkraftwerke“

Während sich die Atomenergie erfolglos bemüht, privates Kapital anzuziehen, sind
Investoren auf billigere, schnellere, risikoärmere Alternativen umgestiegen, die von der
Zeitschrift The Economist „Kleinstkraftwerke (micropower)“ genannt werden. Das sind
dezentrale Turbinen und Generatoren in Fabriken oder Gebäuden (in der Regel handelt es
sich hierbei um Wärmekraftkopplungsanlagen) und alle erneuerbaren Elektrizitäts-Quellen
mit Ausnahme grosser Wasserkraftwerke mit Dämmen (über 10 Megawatt). Diese
Alternativen übertrafen im Jahr 2002 leistungsmässig bereits die gesamte global installierte
Atomkraftwerksleistung. Im Jahr 2006 übertrafen sie die Produktion des globalen Atomkraftwerkparks.
Am globalen jährlichen Zuwachs an Produktionskapazität für elektrische
Energie macht die Atomenergie etwa 2% aus, während die „Kleinstkraftwerke“ (gemittelt über
die Jahre 2004 bis 2007) 28% ausmachen; ihr Anteil wird 2007/2008 wohl noch grösser sein.

Ein noch preiswerterer Konkurrent ist die Endverbraucher-Effizienz (genannt „Negawatt“):
Hier wird Elektrizität gespart, indem sie effizienter oder zu besser gewählten Zeitpunkten
eingesetzt wird. Obwohl die Subventionen hier in der Regel kleiner sind als im Atommarkt
und obwohl viele Hindernisse bestehen bezüglich fairem Markteintritt und Wettbewerb,
haben Negawatt und Kleinstkraftwerke in jüngster Zeit auf dem weltweiten Markt grosse Erfolge gehabt. Die aktuelle und die von der Industrie prognostizierte Stromproduktion durch
Kleinstkraftwerke läuft jener der Atomkraftwerke längst davon. Dazu muss man nicht einmal
das schwer berechenbare zusätzliche Wachstum in Negawatts oder irgendwelche fossil befeuerten
Generatoren unter 1 Megawatt mitzählen (siehe Abbildung 4).91

Weltweite Stromproduktion mit wenig CO2

Abbildung 4: Weltweite Stromproduktion aus Kraftwerken mit geringem oder keinem CO2-Ausstoss

Die Atomindustrie behauptet nach wie vor, ihre einzigen ernsthaften Konkurrenten seien
grosse Kohle- und Gaskraftwerke. Aber auf dem Markt haben sich die Fronten bereits
verschoben: Jetzt konkurrenzieren sich grosse thermische Kraftwerke und Kleinstkraftwerke
einerseits und Megawatt und Negawatt andererseits. In den USA wurde zum Beispiel allein
im Jahr 2007 mehr Windkraftwerksleistung zugebaut als in den fünf letzten Jahren
aufsummiert Kohlekraftwerksleistung zugebaut wurde. Indem sie alle zentralisierten
thermischen Kraftwerke zusammen überbieten, erbringen Kleinstkraftwerke und Negawatt
zusammen etwa die Hälfte der neuen globalen elektrischen Dienstleistungen. Kleinstkraftwerke
allein liefern heute einen Sechstel des weltweiten Bedarfs an elektrischer Energie.
In zwölf Industrieländern liefern sie sogar zwischen einem Sechstel und mehr als der Hälfte
des Bedarfs (die USA liegen mit bloss 4% ganz weit hinten).

In diesem breiter skizzierten Konkurrenzkampf können hohe Preise oder steuerliche
Abgaben für Kohlendioxid-Emissionen die Atomenergie nicht vor ihrem Schicksal retten.
Falls die Atomenergie sich nur gegen Kohlenstrom wehren müsste, könnte sie mit Preisen für Kohlendioxid-Emissionen, die weit über dem aktuellen Marktwert liegen, noch gerettet
werden. Aber der Konkurrent des Atomstroms ist nicht der Kohlenstrom! Höhere Preise für
Kohlendioxid-Emissionen würden allen Ressourcen, die gar kein Kohlendioxid produzieren
(Erneuerbare, WKK mit Wärmerückgewinnung und Negawatt), genauso wie der Atomenergie
helfen. Und sogar fossil befeuerte Kraftwerke mit geringem CO2-Ausstoss dank WKK wären
noch im Vorteil.

„Klein“ bedeutet schnell, risikoarm und mit grossem Gesamtpotenzial

Kleine, schnell erbaute Einheiten entfalten den gewünschten Gesamteffekt schneller als
einige wenige grosse, langsam erbaute Kraftwerke. Breit zugängliche Angebote, die verkauft
werden wie Handys oder Computer, können gesamthaft schneller mehr bewirken als riesige
Kraftwerksanlagen, die gebaut werden wie mittelalterliche Kathedralen. Zudem können sich
kleine Kraftwerkseinheiten der sich ändernden Nachfrage nach Elektrizität örtlich und zeitlich
besser anpassen. Sogar ein Windgenerator mit mehreren Megawatt kann so schnell errichtet
werden, dass in den USA hundert Gigawatt zusätzliche Windenergie installiert sind, bevor
das erste Gigawatt neue Atomenergie (wenn überhaupt je …) ans Netz geht.

Kleine, schnell erbaute Einheiten bedeuten auch finanziell viel kleinere Risiken als grosse,
langsam erbaute. Dieser finanzökonomische Vorteil ist bloss die Spitze eines noch viel
grösseren Eisbergs: Die über 200 unterschiedlichen, verborgenen finanziellen und technischen
Vorteile machen Kleinstkraftwerke etwa zehnmal wertvoller (www.smallispro@table.org),
als die gegenwärtigen Preise oder obige Kostenvergleiche vermuten lassen. Die meisten
Vorteile sind auch auf Negawatts anwendbar.

Trotz ihrer geringen individuellen Grösse addieren sich die Kleinstkraftwerke und Negawatts
zu einer imposanten Gesamtleistung. Innerhalb der nächsten Jahrzehnte können Kleinstkraftwerke
und Negawatts die Last der gesamten Versorgung unserer Wirtschaft mit elektrischer
Energie übernehmen. Das Forschungsinstitut für elektrische Energie (Electric Power
Research Institute [EPRI]), der „Think Tank“ der Elektrizitätsversorger, hat errechnet, dass
das Negawatt-Potenzial der USA (billiger als bloss ein bestehendes Atomkraftwerk laufen zu
lassen und die erzeugte elektrische Energie abzuliefern) zwei- bis dreimal so gross ist wie
der Beitrag von 19%, den die Atomkraftwerke zum Elektrizitätsmarkt der USA beitragen. Das
RMI hat eine detailliertere Studie gemacht und einen noch grösseren Faktor gefunden. WKK
in den Fabriken der USA kann soviel Strom produzieren wie die Atomkraftwerke; der Beitrag
wird noch grösser, wenn WKK in Gebäuden, die 69% der amerikanischen elektrischen
Energie konsumieren, noch dazu kommt. Windkraftwerke an akzeptablen Standorten in den
USA können zu konkurrenzfähigen Preisen mindestens das Doppelte an Strom produzieren,
das die gesamte Nation konsumiert. Andere Erneuerbare können den Beitrag noch
vergrössern, ohne wesentlichen Landverbrauch, ohne Variabilität der Produktion oder andere
Einschränkungen. Also können allein WKK, Windenergie und Stromeffizienz – alle zu
konkurrenzfähigen Preisen – die gegenwärtige Produktion der Atomkraftwerke in den USA
etwa um den Faktor 14 übertreffen.

Die Atomenergie mit ihren jahrzehntelangen Projektierungszyklen, den Schwierigkeiten der
Standortwahl und (in erster Linie) ihrer fehlenden Attraktivität für privates Kapital kann hier
ganz einfach nicht mithalten. Im Jahr 2006 hat sie zum Beispiel weltweit weniger Leistung
zugebaut als die Photovoltaik oder nur einen Zehntel des Zubaus an Windenergie oder 30
bis 41 mal weniger als die Mikrokraftwerke. Die Erneuerbaren (ausgenommen sind die
Grosswasserkraftwerke) erhielten 56 Milliarden Dollar privates Risiko-Kapital; die Atomkraft
erhielt wie üblich nichts. Die in China installierte Leistung in dezentralen erneuerbaren
Kraftwerken war siebenmal grösser als jene der Atomenergie; die Erneuerbaren wuchsen
siebenmal schneller. Im Jahr 2007 bauten China, Spanien und die USA je einzeln mehr
Windenergie zu als weltweit Atomenergie zugebaut wurde. Die Atomindustrie posaunt ihr ach
so grossartiges Wachstum hinaus, dabei sind die Kleinstkraftwerke leistungsfähiger und
wachsen 18-mal schneller.

Sicherheitsrisiken

Zu Recht nennt Präsident Bush die Verbreitung von Atomwaffen die grösste Gefahr für die
USA. Aber diese Proliferation wird ganz wesentlich unterstützt und erleichtert durch die
Verbreitung von Material, Ausrüstung, Wissen und Kenntnissen im Zusammenhang mit dem
Bau von Atomkraftwerken. Und das alles versteckt sich hinter einer unschuldig aussehenden
zivilen Tarnung. Die Wiederaufbereitung von Kernbrennstoff, die Präsident Bush ja wieder
aufnehmen möchte, macht die Handhabung von Atomabfällen viel komplizierter, erhöht die
Kosten und fördert die Proliferation von Atomwaffen. Dagegen würde das Anerkennen der
Tatsache, dass Atomkraft auf dem Markt versagt hat, und die Hinwendung zu sicheren,
kostengünstigen Energie-Optionen für die weltweite Entwicklung diejenigen demaskieren und
bestrafen, die Atomwaffen verbreiten, indem die Bestandteile, die zum Bau von Bomben
nötig sind, viel schwerer zu beschaffen wären. Wer diese Bestandteile dennoch beschaffen
wollte, müsste viel verdeckter vorgehen. Wer beim Versuch der Beschaffung schliesslich
ertappt würde, hätte einen grossen politischen Gesichtsverlust zu erleiden. Das würde die
Proliferation viel schwieriger machen. Zudem wäre sie leichter rechtzeitig zu entdecken,
indem die spärlichen nachrichtendienstlichen Mittel auf die Nadeln statt auf die Heuhaufen
angesetzt werden könnten.

Die Atomkraft steht auch vor anderen einmalig grossen Herausforderungen wie zum Beispiel
den langlebigen radioaktiven Abfällen, der Möglichkeit von Unfällen von katastrophalen
Ausmassen oder der Verletzlichkeit gegenüber terroristischen Angriffen. Aber in einer
Marktwirtschaft hat diese Technologie auch ohne derartige Probleme keine Chancen; also
müssen wir hier auf solche Gesichtspunkte gar nicht eintreten.

Schlussfolgerungen

Warum halten Leute, die sonst gut informiert sind, die Atomkraft nach wie vor für ein
Schlüsselelement einer guten Klimastrategie? Jedenfalls nicht, weil diese Auffassung einer
gewissenhaften Analyse standzuhalten vermöchte. Es scheint eher, die Gründe lägen in
einer oberflächlich attraktiven Story, bei einer unheimlich starken und effizienten Lobby, bei
einer neuen Generation, die vergessen hat oder gar nie wusste, warum die Atomkraft schon
früher versagt hat (seither hat sich fast nichts verändert), bei Führern in fast allen grossen
Regierungen, die der Atomkraft gegenüber positiv eingestellt sind, bei tief verwurzelten Gewohnheiten und bei Gesetzen, die riesige Kraftwerke gegenüber dezentralen Lösungen
bevorzugen und die ein übertrieben grosses Angebot einem effizienten Einsatz vorziehen,
bei der Tatsache, dass die wirklichen Gewinner im freien Markt in vielen offiziellen Statistiken
gar nicht auftauchen (die häufig nur die grossen Kraftwerke im Besitz der Elektrizitätsversorger
überhaupt erfassen) und bei schludriger Berichterstattung durch eine haarsträubend
unkritische Presse.

Ist es nicht an der Zeit, dass wir die Atomkraft endlich vergessen? Geldgeber, die Bescheid
wissen, glauben nicht mehr an sie. PolitikerInnen und ExpertInnen sollten ihrem Beispiel
folgen. Nach mehr als einem halben Jahrhundert hingebungsvoller Anstrengung und mit
Subventionen aus der Staatskasse von einer halben Billion (d.h. eine Million Millionen)
Dollars kann die Atomkraft auf dem Markt nach wie vor nicht bestehen. Wenn wir dieses
eindeutige Verdikt des Marktes akzeptieren, können wir endlich weiterfahren, indem wir die
besten Käufe zuerst tätigen: Erprobte und weit verbreitete Verfahren, um mehr Kohlendioxid
pro investierten Dollar zu vermeiden; Verfahren, die schneller, sicherer, zuverlässiger und
von der Öffentlichkeit erst noch besser akzeptiert sind. Wie schon oft in der Vergangenheit,
besteht auch jetzt das Finden einer vernünftigen Klima- und Sicherheitsstrategie darin, die
Signale der Marktwirtschaft ernst zu nehmen.

Die Autoren

Amory Lovins ist Physiker und Mitbegründer, Vorsitzender und Chef-Wissenschaftler des Rocky Mountain Institute (RMI), wo Imran Sheikh als Forschungs-Analytiker arbeitet und Alex Markevich Vizepräsident ist. Amory Lovins hat sehr viele Elektrizitätsunternehmen beraten, von denen einige auch Atomkraftwerke betreiben. Die Verfasser bedanken sich bei ihrem Kollegen Dr. Joel Swisher für seine hilfreichen Kommentare und bei vielen zitierten und nicht zitierten Quellen für ihre Unterstützung.

Ein technischer Artikel, der als Vorabdruck einer Publikation in der Ausgabe vom September 2008 in der Zeitschrift „Ambio“ (Königlich Schwedische Akademie der Wissenschaften) erhältlich ist www.rmi.org/sitepages/pid257.php#E08-01, ergänzt diese Zusammenfassung mit allen Einzelheiten und einer umfassenden Dokumentation. Am RMI wird eine globale Datenbank der Kleinstkraftwerke, gestützt auf industrielle und öffentliche Quellen, geführt. Sie ist insgesamt bis und mit 2006, stellenweise schon bis und mit 2007, nachgeführt: www.rmi.org/sitepages/pid256.php#E05-04


91 Daten für dezentrale Gasturbinen und Dieselgeneratoren berücksichtigen Generatoren mit einer Leistung von
weniger als einem Megawatt nicht

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