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Verschiedenartige Zielsetzungen verfolgen

Wir können selbstverständlich mehrere übergeordnete Ziel­setzun­gen verfolgen. Niemand verbietet uns zum Beispiel sowohl gro­ssen finanziellen Reichtum als auch das Leben der Grundrechte des Seins anzustreben. Ob diese beiden Ziele kompatibel mit­einander sind, hängt vom Stand unserer per­sönlichen Entwicklung ab. Je näher wir dem Ziel der dauern­den Harmonie bereits sind, desto grösser sind die Chancen, dass die beiden Zielsetzungen für uns nicht kompatibel sind. Wie wir bereits mehrfach betont haben, können wir unsere Ziele selbst wählen, wir müssen aber auch mit den Folgen leben. Je mehr nicht kompatible Zielsetzungen wir verfolgen, desto stärker müssen wir unsere Zeit und Energie auf­teilen. Entsprechend werden die möglichen Fortschritte mit zuneh­mender Anzahl nicht kompatibler Ziele grundsätzlich kleiner. Im Extremfalle teilen wir unsere Energien so weit auf, dass überhaupt keine Fortschritte mehr möglich sind – wir treten an Ort.

Betrachten wir im Beispiel von Abbildung 3 mit den Berg­gipfeln A, B und C als Zielsetzungen jemanden, welcher sowohl Ziel A als auch das Ziel C erreichen möchte. Nehmen wir an, diese Person verfolge jeweils während einer Stunde das Ziel A, danach während einer Stunde das Ziel C, danach wieder A, usw.

Solange sich diese Person noch nicht in der Ortschaft im Tal befindet, macht sie gute Fortschritte, da beide Zielsetzungen kom­patibel miteinander sind. Sie nähert sich der Ortschaft von Stunde zu Stunde. Sobald sie sich aber in der Ortschaft befin­det, wird sie eine Stunde lang in Richtung C aufsteigen, danach wird sie eine Stunde lang auf A zugehen. Dies ist aber genau der umgekehrte Weg, den sie vorher gegangen ist. Die Person geht also wieder zurück in die Ortschaft. Dort entscheidet sie sich vermutlich wieder für den Berggipfel C und dreht wieder um, usw.

Gleichgültig wie ausdauernd diese Person ist, sie wird dauernd in der Gegend der Ortschaft herumpendeln ohne einem der beiden Ziele entscheidend näher zu kommen. Sie könnte sich genau so gut hinsetzen und ausruhen – stattdessen hastet sie umher und wird noch müde dabei! Sie verschwendet ihre Energien für nichts. Sie macht keine Fortschritte mehr.

Bei einer Entscheidung wählen wir jeweils eine Zielsetzung als Richtlinie für diese Entscheidung aus. Unser Verhalten in einer bestimmten Situation wird primär durch unsere aktuelle Ziel­setzung bestimmt. Im Beispiel mit den Berggipfeln entscheidet sich die Person zum Beispiel zunächst für das Ziel C. Bei der nächsten Entscheidung können wir aber bereits wieder eine andere Ziel­setzung als Richtschnur wählen, im obigen Beispiel das Ziel A. Die aktuell gültige Zielsetzung kann sich also sehr rasch ändern.

Wenn wir mehrere Ziele verfolgen, welche sich nicht ergänzen – also nicht kompatibel sind -, so findet dauernd eine Art Wett­be­werb zwischen den einzelnen Zielsetzungen statt, welches Ziel nun die Oberhand haben darf und somit zur Leitlinie für die gerade aktuellen Entscheidungen wird.

Nehmen wir an, Sie möchten Stellvertreter ihres Chefs werden, obwohl es dazu unter den Arbeitskollegen geeignetere Perso­nen gibt. Gleichzeitig möchten Sie aber mit allen Arbeits­kollegen ein faires, kameradschaftliches Verhältnis haben. Sobald der Chef auftaucht, werden Sie sich nun anders verhal­ten, schliesslich wol­len sie ihm ja zeigen, dass Sie sein bester Stellvertreter wären. Solange der Chef nicht dabei ist, hat die Zielsetzung «Gutes Ver­hältnis zu den Arbeitskollegen» die Oberhand. Sobald der Chef dazu kommt, wechselt die aktuelle Zielsetzung auf «Stellvertreter des Chefs werden». Dadurch fühlen sich die Arbeitskollegen früher oder später vor den Kopf gestossen, was das kameradschaftliche Verhältnis trüben wird. Da es – wie bei diesem Beispiel voraus­gesetzt – bessere Kandi­daten für den Posten des Stellvertreters gibt, sind die beiden Ziele nicht kompatibel miteinander. Fort­schritte bei einem Ziel führen dadurch zu Rückschritten im ande­ren Ziel.

Dies gilt sowohl bei kurzfristigen als auch bei langfristigen, über­geordneten Zielsetzungen. Je nach dem, ob nun das Ziel, die Grundrechte des Seins zu leben oder das Ziel, materiellen Reich­tum anzuhäufen die Oberhand hat, wird sich jemand in einer gegebenen Situation möglicherweise völlig unterschied­lich ver­halten bzw. entscheiden. Die Verfolgung von unter­schiedlichen Zielsetzungen kann so weit gehen, dass dadurch ganz unter­schiedliche Persönlichkeiten in ein- und derselben Person ent­stehen. Typisch für die moderne westliche Welt ist zum Beispiel eine grosse Diskrepanz zwischen dem morali­schen Verhalten im Geschäftsleben und im Privatleben.

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